Alkem Hanau

Name: Siemens Brennelementwerk Hanau, Betriebsteil MOX

Art der Anlage: Brennelementfertigung

Status der Anlage: zurückgebaut

Bundesland: Hessen

Betreiber: Siemens AG

Quelle: http://www.anti-atom-aktuell.de

Anlage

 

Name:

SBH-MOX: Siemens Brennelementwerk, Betriebsteil MOX

Bis 1988: ALKEM - Alpha-Chemie und Metallurgie

Bundesland:

Hessen

Betreiber:

Ab 1988: Siemens AG

Bis 1988 ALKEM - Alpha-Chemie und Metallurgie GmbH

Gesellschafter:

Gegründet 1964 von (60%)  und NUKEM (40%) 

Nach dem Transnuklearskandal übernahm Siemens 1988 die Anteile von NUKEM und benannte ALKEM in „Siemens Brennelementwerk Hanau – Betriebsteil MOX-Verarbeitung (SBH-MOX)“ um.

Inbetriebnahme:

1968

Brennelement-
fertigung:

Produktion von MOX-Brennelementen für Leichtwasserreaktoren und Schnelle Brüter aus Plutonium und Uran, ca 35 t SM/a. [1]

Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde:

Inbetriebnahme: Hessisches Ministerium für Wirtschaft und Technik (HMWT)

Stilllegung: Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUELV)

Genehmigung:

16.08.1968: Betriebsgenehmigung nach § 9 AtG. [1] Zulassung der Lagerung und Verarbeitung von Kernbrennstoffen in einer vorhandenen Anlage ohne förmliches Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Deshalb war es möglich, die Anlagen der Fa. Degussa, die bereits während des Nationalsozialismus an der Urantechnologie forschte und Ende der 1950er Jahre ihre Tätigkeiten in diesem Bereich wiederaufnahm, einfach weiterzunutzen. [2]

30.12.1974: Letzte umfassende Genehmigung nach § 9 AtG [1]

Die 3. AtG-Novelle schrieb eine Genehmigungspflicht nach § 7 AtG für Brennelementfabriken vor. Unbefristet genehmigte Betrieb erhielten eine Übergangsfrist bis zum 31.10.1977, befristet genehmigte Anlagen drei Monate. Für die ALKEM wurde fristgemäß Antrag nach §7 AtG für den Betrieb der bisherigen Anlagen gestellt, allerdings ohne die neu erforderlichen Sicherheitsnachweise zu erbringen. Stattdessen verschleppte ALKEM mit Billigung des Landes Hessen und in Kenntnis des Bundes das Genehmigungsverfahren mehr als ein Jahrzehnt. Derweilen wurden mit Hilfe dutzender sogenannter "Vorabzustimmungen" der hessischen "Atomaufsicht" die Produktionsanlagen um und ausgebaut. Mehrmals wurde dabei das Kritikalitätsrisiko deutlich erhöht. [2]

17.12.1976: Genehmigung nach § 9 AtG für den Umgang mit abgereichertem Uran in dem noch zu errichtende Gebäude des Uran-Technikums [3]

31.01.1983: Genehmigung im Rahmen einer "Vorabzustimmung" für eine völlige Umstellung des gesamten chemischen Aufbereitungsprozesses. Das neue Verfahren war wegen seiner Plutoiniumausbeute deutlich rentabler, andereseits gefährlicher, da einerseits bereits in einer frühen Phase Americium anfiel und andereseits Wasserstoffgas benötigt wurde, was das Explosionsrisiko steigerte. [2]

1983 Genehmigung im Rahmen einer "Vorabzustimmung" für die Errichtung einer Anlage zur Konditionierung flüssiger und fester besonders alphastrahlerhaltigen, radioaktiven Abfälle sowie zur Lagerung der Abfälle auf dem Gelände der ALKEM. [2] [4]

Betrieb ohne Genehmigung:

November 1984: Strafanzeige der Initativgruppe Umweltschutz gegen die Geschäftsführer der ALKEM und die zuständigen Sachbearbeiter im hessischen Wirtschaftsministerium wegen illegalem Betrieb von Atomanlagen und rechtswidriger Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Behörden. 1984/85 werden die Räume von ALKEM durchsucht und Akten im Hessischen Wirtschaftsminsteirum beschlagnahmt. [5] 

1987 legte die Staatsanwaltschaft eine 658-seitigen Anklageschrift wegen unerlaubten Betriebs einer kerntechnischen Anlage vor. Die angeklagten Manager und Verantwortlichen im hessischen Umweltministerium wurden jedoch am 12.11.1987 alle freigesprochen, da ein absichtliches Fehlverhalten nicht beweisbar war. Allerdings stellte das Gericht fest, dass die Vorabzustimmungen rechtswidrig erteilt wurden. [2]

ALKEM (neu):

23.01.1991: Sechs Wochen nach der verlorenen Landtagswahl erteilte der Hessiche Umweltminister Weimar noch die endgütige Teilgenehmigung für die neue Plutonium-Anlage. [6]

Die Akten des Umweltministeriums zur (vorletzten) 5. Teilgenehmigung wurden bei Siemens gefunden. Dort wurden nach der Genehmigung nachträgliche Änderungen eingefügt. [6]

Weisungen:

Die Umweltminister Walter Wallmann und Dr. Klaus Töpfer sowie die Umweltministerin Dr. Angela Merkel griffen ab 1987 massiv in die Hessische Atomaufsicht ein und erließen 15 atomaufsichtliche Weisungen vor allem um die Stilllegung der Anlagen zu verhindern. [7] [8]

Knebelvertrag Siemens / EVU:

Januar 1988: Knebelvertrag von Siemens mit den Energieversorgern (EVU): Die Fertigung von MOX-Brennelementen galt als Entsorgungsvorsorgenachweis. Siemens als Monopolist für die MOX-Verarbeitung in Deutschland verpflichtete die EVU zu einer entschädigungspflichtigen Auslastungsgarantie für das Hanauer Werk. Die Herstellung der MOX-Brennelemente in Hanau war dreizehnmal teurer als Uran-Brennelemente. [6]

Besondere Gefahren:

Die Anlagen der ALKEM waren (außer dem Plutoniumbunker) weder gegen Flugzeugabsturz noch gegen Druckwellen aus chemischen Explosionen oder Erdbeben ausgelegt. [2]

Bekannte Ereignisse:

Im Laufe des Betriebs gab es eine Vielzahl von Störfällen, die letztlich zur behördlichen Stilllegung der Anlage führte.

1984: Kontamination eines Leiharbeiter, ihm war bei der Arbeit mit Plutonium ein Handschuh gerissen. [9]

März 1985: Überschreitung der genehmigten Menge an Plutonium. Ein Mitarbeiter versuchte, die Überschreitung durch Manipulation in der Buchhaltung zu verbergen. [10]

18.04.1991: Beschädigung einer Dose mit 3,3 kg Spaltmaterial und 27% Plutoniumanteil, zwei Arbeiter wurden kontaminiert. [11] 

17.06.1991: Kontamination von zwei Beschäftigten und einem Kontrolleur im Spaltstofflager [11]

18.06.1991: Durch zwei unverschlossene Bohrlöcher drang Regenwasser in den Plutoniumbunker. Daraufhin wurde entdeckt, dass seit dem 29.04.1991 die „Innere Umschließung“, die ein illegales Herausbringen von Plutonium verhindern sollte, durchbrochen war. Es konnte nicht ausgeschlossen werden , dass durch die beiden Öffnungen Brennstäbe oder Pellets herausgeschoben worden waren.  [6]

Kosten:

Altanlage: Subventionierung durch das Bundesforschungsministerium: Entwicklung von Brennelementen für den Schnellen Brüter, "Optimierung" plutoniumhaltiger Abfälle, Weiterentwicklung der Plutoniumtechniologie. Laut Medienberichten wurde jeder Arbeitsplatz mit 58.000 DM vom Bund subventioniert. [12]

Neuanlage: 1,1 Mrd. DM, zu 50% von den Stromversorgern getragen [13]

Plutoniumbunker

 

Bauweise:

 Nicht unterkellertes Bauwerk mit verbunkertem und unverbunkertem Gebäudeteil. Nur der verbunkerte Teil war gegen Flugzeugabsturz ausgelegt. [14]

"Genehmigung":

09.09.1975: Durch einen Deal zwischen ALKEM und der hessischen Genehmigungsbehörde wurde ein Plutoniumlager ohne Sicherheitsnachweis und ohne Betriebsgenehmigung geplant und 1978 in Betrieb genommen. Der Bunker wäre nach der 3. AtG-Novelle nicht mehr genehmigungsfähig gewesen. Drei Wochen vor Inkrafttreten der Novelle und drei Monate vor Auslaufen der befristeten Betriebsgenehmigung wurde kurzerhand eine nachträgliche Auflage nach §17 AtG erlassen und ALKEM “verpflichtet“, den Bunker zu bauen und zwar kapazitätsmäßig für das 20fache der bestehenden Umgangsgenehmigung. [2]

Widerrechtliche Zwischenlagerung in Belgien:

1978: Als „Zwischenlösung“ wurden 600 kg Plutonium aus der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague für die Brennelementproduktion bei ALKEM ohne Wissen der belgischen Behörden in einer Lagerhalle der ALKEM-Tochter Belgonucleaire in Belgien gelagert. [2]

ALKEM-Lager:

 28.10.1980: Anordnung des hessischen Umweltministerium zur „vorläufigen“ Inbetriebnahme eines Teil des Bunkers durch ALKEM (für 460 kg Plutonium) [2]

"Staatliches Verwahrlager":

Mai 1981: Die übrige Kapazität im „Atombunker“ wurde zum „staatlichen Verwahrlager“ nach §15 AtG erklärt und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) unterstellt. Für ein Bundeslager bedurfte es nämlich keiner Genehmigung nach § 7 AtG.

Beide Bereiche waren in den Gebäuden teilweise nur durch einen Strich als Markierung getrennt. ALKEM konnte sich nach Belieben aus der „staatlichen Verwahrung“ bedienen, das Bundeslager diente ALKEM so als genehmigungsfreie Kapazitätserweiterung. [2]

Inventar:

01.03.1988: Bestand staatliches Verwahrlager rd. 2.200 kg Reaktorplutonium, rd. 15.000 kg natürliches und angereichertes Uran [14]

Bis 2005 wurden die unbestrahlten Brennelemente für den Schnellen Brüter in Kalkar gelagert, wofür es ebenfalls keine atomrechtliche Genehmigung gab.

Kosten:

Bau: 20 Mio. DM, zu 80% finanziert durch Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) [2]

Stilllegung

 

Außerbetriebnahme und Stilllegung der Altanlage:

17.06.1991: Nach wiederholter Kontamination von Arbeitern und gravierenden Sicherheitsmängeln (Undichtigkeit der Gebinde) durch Anordnung nach § 19 AtG des hessischen Umweltministers Fischer. [6]  Es folgte ein jahrelanges Tauziehen zwischen dem Land einerseits und dem Bund und Siemens andererseits inklusive atomaufsichtlicher Weisungen und Gerichtsverfahren.

April 1994: Siemens beschloß, die Altanlage nicht wieder in Betrieb zu nehmen. [15]

Nicht-Inbetriebnahme der neuen Anlage:

21.07.1993 Der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel hob drei von sechs Teilgenehmigungen für den Neubau wieder auf. [16]

09.08.1994: Das Bundesverwaltungsgericht erklärte den Bau für rechtens. [17]

Juni 1996: Die deutschen Atomkraftwerksbetreibern, die das Bauprojekt zu 50% mitfinanziert hatten, erklärten ihre Beteiligung für beendet. [18]

06.07.1996: Russland erteilte der Verarbeitung von russischem Waffenplutonium in Hanau eine Absage. [19]

07.07.1995: Verzicht von Siemens auf die Fertigstellung der zu 90% fertigen Anlage. [19]

Außerbetriebnahme des Plutoniumbunkers:

Dezember 2005: Letzter Abtransport von Kernbrennstoffen aus dem staatlichen Verwahrlager im Plutoniumbunker [20]

Stilllegung:

07.05.1996: Antrag auf Leerfahren der MOX-Anlage

1997/1998: Teilgenehmigungen zur Bearbeitung der Kernbrennstoffe, um sie lager- und transportfähig zu machen.

16.03.2005: Letzte Teilgenehmigung [20]

Rückbau:

1997-Juli 2006

Versuche von Siemens, die Anlage nach Russland bzw. China zu verkaufen, scheiterten [21], [22]

September 2006: Aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes entlassen [20]

Kosten:

Die „Entsorgung“ des radioaktiven Inventars bis 2005 kostete 240 Mio. €, davon alleine 200 Mio. € für die Brennelemente des Schnellen Brüters. Der Bund übernahm davon 76 Mio. €, davon 40 Mio. € für die Brennelemente des Schnellen Brüters. [23]

Verbringung von Abfällen:

 
  1. Wiederaufarbeitung: 10.05.2005 - Verbringung der 205 unbestrahlten Brennelemente für den Schnellen Brüter sowie kleinerer Plutoniumbestände, die vom Versuchsbrüter KNK II des staatlichen Kernforschungszentrums Karlsruhe (FZK) stammen, zur Wiederaufarbeitung nach La Hague (F). Dort wird der Plutoniumanteil von 35 % auf 4 bis 5% reduziert, so dass die Brennelemente in Leichtwasserreaktoren eingesetzt werden können. Eigentümer der Brennelemente ist die RWE Power AG. [23]
  2. NCS Hanau, Halle 12: Rückbauabfälle [24]
  3. Morsleben: 40 m³ von der Siemens AG Hanau insgesamt [25]
  4. Salzbergwerk Bad Friedrichshall-Kochendorf: August 2001 - März 2005: 15.000 t  Bauschutt und Aushubmaterial von der Siemens AG insgesamt [26]

Quellen

[1] Bundesamt für Strahlenschutz: "Statusbericht zur Kernenergienutzung in der Bundesrepublik Deutschland 2021", September 2022

[2] Jacob Martin: „Der atomindustrielle Komplex und das Recht – Hintergründe des Hanauer ALKEM-Prozesses“, Kritische Justiz, 1987 Heft 4, Nomos

[3] Hessischer Landtag: Antwort auf die Kleine Anfrage des Abg. Jakob (Grüne) betreffend Uran-Technikum der Nuklearfirma ALKEM, Drucksache 11/1761, 15.08.1984

[4] Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Schily, Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Illegale Plutoniumverarbeitung in Hanau. Drucksache 10/5772. 25.06.1986

[5] Erneut Akten beschlagnahmt, die tageszeitung 14.03.1985

[6] Herbert Stolz (DIE ZEIT): Die Atommacht von Hanau. 29.11.1991

[7] Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/DIE GÜNEN : Bundesaufsichtliche Weisungen der Atomaufsicht (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/10477), Drucksache 17/10702. 14.09.2012

[8] Wallmann stoppt Atom-Verbot. Abendzeitung München. 09.01.1987

[9] Jeder Hammer. In DER SPIEGEL 13/1987, 22.03.1987

[10] Alkem überschritt Plutonium-Menge, Braunschweiger Zeitung 25.04.1985

[11] Atemnot und rote Augen. In. DER SPIEGEL 38/1991, 01.09.1991

[12] Deutscher Bundestag: Antwort auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Reuter (SPD). Drucksache 10/3649. 12.07.1985

[13] "Im Atomdorf Hanau verlöschen die Lichter." Peiner Allgemeine Zeitung. 30.12.1995

[14] Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes (Transnuklearskandal). Drucksache 11/7800. 15.10.1990

[15] Hanauer Altanlage für MOX-Brennstäbe wird endgültig aufgegeben, energie-chronik 940403, April 1994

[16] Verwaltungsgerichtshof in Kassel hebt Teilgenehmigungen für Hanau auf, energie-chronik 930707, Juli 1993

[17] Siemens darf die neue Hanauer Anlage zur Plutoniumverarbeitung vollenden, energie-chronik 940801 August 1994

[18] Stromwirtschaft beendet Finanzierung des Hanauer Brennelementewerks, energie-chronik 950607 Juni 1995

[19] Siemens verzichtet auf Fertigstellung der neuen Mischoxid-Anlage in Hanau, energie-chronik 950701 Juli 1995

[20] Bundesamt für Strahlenschutz: "Statusbericht zur Kernenergienutzung in der Bundesrepublik Deutschland 2012", Juli 2013

[21] Siemens begann mit Abbau der Hanauer Mox-Fabrik, energie-chronik 020418 April 2002

[22] China verzichtet auf Hanauer Brennelemente-Fabrik, energie-chronik 040407. April 2004

[23] „BfS räumt Plutoniumlager in Hanau“, Presseerklärung, 10.05.2005

[24] umweltministerium.hessen.de: NCS, abgerufen am 23.08.2023

[25] Deutscher Bundestag: Antwort auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Lötzer, Drucksache 17/14270, 28.06.2013, S. 62 ff.

[26] Stadt Heilbronn: „Lagerung von schwach radioaktiven Abfällen im Salzbergwerk Heilbronn“, 25.10.2011