Deutsche Atomkommission (DAtK)

Die DAtK, konstituiert am 26.01.1956, war eine Kommission hauptsächlich von Industrievertretern aus verschiedenen Wirtschaftsbereichen und Atomphysikern, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Nutzung der Atomenergie in der BRD voran zu treiben. Allerdings gab es in den Anfangsjahren bei den Beteiligten sehr unterschiedliche Interessen und Vorstellungen über die Entwicklung einer deutschen Reaktorlinie und über den staatlichen Anteil bei der Förderung der Atomenergie. Die DAtK war verantwortlich für die ersten Atomprogramme, die jedoch nur rudimentär umgesetzt wurden und für die Bewilligung von Fördermitteln für die Atomforschung.

Entstehung

Beschluss der Bundesregierung vom 21.12.1955

Konstituierung

26.01.1956

Auftrag

Beratung der Bundesregierung in allen wesentlichen Angelegenheiten, die mit der Erforschung und Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke zusammenhängen. Insbesondere der Rückstand der BRD von 10-15 Jahren gegenüber den USA, Großbritannien und der Sowjetunion, der durch das Verbot jeglicher Forschung auf dem Gebiet der Atomenergie in der BRD nach dem Krieg entstanden war, sollte aufgeholt werden. [1]

Angegliedert an

1956 Bundesministerium für Atomfragen

1957 Umbenennung in Bundesministerium für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft

1961 Umbenennung in Bundesministerium für Atomkernenergie

1962 Umbenennung in Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung

Zusammensetzung

„Die deutsche Atomkommission umfaßte in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung 25 Mitglieder, von denen mindestens 13 der Privatwirtschaft zuzurechnen waren, während der DGB allein durch Ludwig Rosenberg vertreten wurde. [2, Radkau S. 145]

Vorsitz Atomminister

1956 Franz-Josef Strauß (CSU),

16.10.1956 – 1962 Siegfried Balke (CSU),

1962 – 1965 Hans Lenz (FDP),

1965 – 1969 Gerhard Stoltenberg (CDU)

1969 – 1971 Hans Leussink (parteilos)

stellvertretende Vorsitzende:

  • Leo Brandt, Hochfrequenztechniker, Entwicklung von Radargeräten, Gründer der Kernforschungsanlage Jülich, noch vor den Pariser Verträgen (05.05.1955) versuchte Brandt ein geheimes (weil verbotenes) deutsch-niederländisch-norwegisches Reaktorprojekt auf den Weg zu bringen [2]
  • Otto Hahn, Chemiker, Nobelpreisträger, gemeinsam mit Lise Meitner Entdecker der Kernspaltung, Gründer der Max-Planck-Gesellschaft [3]
  • Karl Winnacker, Manager der IG Farben, Mitglied der SA und der NSDAP, Vorstandsvorsitzender der Hoechst AG, Vorsitzender des Deutschen Atomforums [4]

weitere Gründungsmitglieder u.a.:

  • Hermann Josef Abs, Aufsichtsrat IG Farben, Vorstand der Deutschen Bank (u.a. auch mit der Arisierung jüdischer Unternehmen und Banken betraut), Schlüsselfigur der deutschen Wirtschaft und einflussreichster Bankier der Nachkriegswirtschaft, ständiger Vertreter des „Heiligen Stuhls“ bei der IAEO [5]
  • Wolfgang Gentner, Physiker, Mitarbeit am NS-Uranprogramm, Direktor des Kernforschungszentrums CERN in Genf, Gründer des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg [6]
  • Otto Haxel, Physiker, Mitarbeit am NS-Uranprogramm, Mitbegründer des Kernforschungszentrums Karlsruhe [7]
  • Werner Heisenberg, Physiker, Nobelpreisträger, Mitarbeit am NS-Uranprogramm, Berater bei Atomfragen für die Adenauer-Regierung, Promotor des Einstiegs in die Atomforschung und des Baus von Atomreaktoren in der BRD [8]
  • Gerhard Hess, Philologe, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft [9]
  • Friedrich Paneth, Chemiker, 1933 Exil in England, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie [10]
  • Ludwig Rosenberg, SPD, 1933 Exil in England, DGB-Vorsitzender, „Ende 1955 richtete der DGB unter Leitung von Ludwig Rosenberg und Willi Richter einen Atomausschuß ein.“ [2, Radkau S. 430]
  • Arnold Scheibe, Agrikulturbotaniker (Mutation durch radioaktive Strahlung), Universität Göttingen [11]
  • Wolfgang Riezler, Physiker, Direktor des Instituts für Strahlen- und Kernphysik, Universität Bonn [12]

Zur Durchführung ihrer Aufgaben gab sich die Atomkommission eine Geschäftsordnung. Danach wurden die Mitglieder für ihre Person berufen. „Mit den gesamten Arbeitskreisen, die unterhalb der Ebene der Fachkommissionen gebildet wurden, umfasste die Atomkommission 1956 ca. 200 Personen – demgegenüber hatte das Bundesatomministerium nur 130 Beamte, Angestellte und Arbeiter, davon 38 im höheren Dienst aufzuweisen." [13]

Arbeitsweise

„De iure hatte sie nur beratende Funktion, faktisch bestimmte sie jedoch in der Frühzeit die Entwicklungslinien in der Förderung von Kernforschung und Kerntechnik und war auch für den Ausbau der Plasmaphysik und Fusionsforschung zuständig.“ [13] 

Die Atomkommission konnte zur Bearbeitung oder Vorbereitung besonderer Aufgaben Fachkommissionen bilden. Es wurden Fachkommissionen gegründet.

I „Kernenergierecht“

II „Forschung und Nachwuchs“ (s.u. Arbeitskreis Kernreaktoren)

III „Technisch-wirtschaftliche Fragen bei Reaktoren“ (s.u. Arbeitskreis Kernreaktoren)

IV „Strahlenschutz“, die Fachkommission IV „Strahlenschutz“ war die unmittelbare Vorgängerin der heutigen Strahlenschutzkommission. Sie präsentierte sich unter ihrem Vorsitzenden Ludwig Rosenberg „in einer Inaktivität und Einflußlosigkeit, die dies Gremium nahezu als Farce erscheinen läßt. Die 5 Arbeitskreise, die ihr ursprünglich unterstanden, verlor sie im Lauf der Zeit allesamt an andere Fachkommissionen. […] Am Entwurf der endgültigen Fassung der Strahlenschutzverordnung, die in der DAtK auf heftige Kritik stieß, wurde sie nicht beteiligt.“ [2, Radkau S. 146]

V „Wirtschaftliche, finanzielle und soziale Probleme“, sie war einflußreich und sehr prominent besetzt: H. J. Abs, Konrad Adenauer, der Sohn des Bundeskanzlers und Vertreter von Rheinbraun, Ludwig Rosenberg, Heinrich Kost, der führende Mann des Kohlebergbaus sowie Verteter des BDI, von RWE, der Großchemie, der Esso-Gesellschaft und der Allianz-Versicherung. „Ihre Sache war es, gestützt auf ihre Beziehungen zu verschiedenen Ministerien und der Hochfinanz, Finanzierungsmodelle für kerntechnische Anlagen auszuhandeln.“ [2, Radkau S. 146]

Den Fachkommission unterstanden eine Reihe von Arbeitskreisen sowie ad-hoc Ausschüsse.

De facto waren die Arbeitskreise nicht wirklich Unterinstanzen, „sondern die Gremien, wo viele Fäden zusammenliefen. Das gilt insbesondere für den Arbeitskreis Kernreaktoren, der den Fachkommissionen II und III zugeordnet wurde: Auf ihn konzentrierten sich die industriellen Interessen und er wurde rasch das aktivste und einflußreichste Gremium der DAtK.“ […] Zwei Drittel der Mitglieder waren Firmenvertreter von Siemens, AEG, Babcock Wilcox, Brown, Boveri & Cie., Farbwerke Hoechst, Bayer-Leverkusen, Leybold's Nachf., RWE, Interatom. [2, Radkau S.145]

Ergebnisse

Entscheidung über Förderanträge an das Atomministerium (Abgelehnte Anträge wurden dann aber oft vom Verteidigungsministerium finanziert, selbst wenn das beantragte Projekt keinen unmittelbaren militärischen Nutzen hatte. [13])

1957 Eltviller Programm: Das Eltviller Programm wird oft als erstes deutsches Atomprogramm bezeichnet, obwohl es diesen Status offiziell nie hatte. Ziele: bundesdeutsche Brennstoff-Autarkie, Bevorzugung von Natururan-Reaktoren, Priorität der Plutonium-Produktion vor der Stromerzeugung, Endziel Brüterentwicklung. Entwicklung von 5 Leistungsreaktoren à 100 MW: Schwerwasserreaktor (Siemens), gasgekühlter graphitmoderierter Hochtemperatorreaktor (BBC/Krupp), organisch moderierter Reaktor (Interatom), Leichtwasserreaktor (AEG), Gas-Graphit-Reaktor vom Typ Calder Hall (Deutsche Babcock & Wilcox AG). Kostenplan: Bis 1965 insgesamt 800 Mio. - 1,1 Mrd. DM. [2, Radkau S. 149f.] Vom Eltviller Programm wurde alleine der Schwerwasserreaktor in Niederaichbach realisiert.

1963 2. Deutsches Atomprogramm: Keine Festlegung auf bestimmte Reaktortypen, 1,5 Mrd. DM für Forschung, 1 Mrd. DM für Entwicklung. [2, Radkau, S. 267]

1986 3. Deutsches Atomprogramm: Ermöglichung von Subventionen für bereits erprobte Reaktoren. Erst dieses Programm wurde auch zum offiziellen Programm der Bundesregierung erhoben. „Bis 1970 fehlte es dem Ministerium überhaupt an einem Planungsstab: Die Planung war bis dahin Sache der DAtK, aber diese war mit zunehmendem Zerfall zu solchen Aufgaben immer weniger in der Lage. [2, Radkau S. 268]

Lagerung radioaktiver Abfälle: „Im Januar 1962 wurde die Empfehlung der Arbeitsgruppe 4 der DAtK veröffentlicht, in der ausgeführt wird, dass zur Langzeitlagerung radioaktiver Abfälle nur unterirdische geologische Schichten infrage kämen und hierbei Salzstöcke oder aufgelassene Salzbergwerke besonders geeignet erscheinen. […] äußerte jedoch im Folgenden Bedenken gegen diesen Vorschlag der BfB [Bundesanstalt für Bodenforschung: ASSE II] und favorisierte die Erstellung einer neuen Anlage. [14]

Kritik

Fehlende Anbindung an das Parlament: „Der zuständige Bundestagsausschuß war allem Anschein nach von der Kommission unberaten […] Der <Atomplan> der SPD von 1956 forderte demgemäß eine Atomkommission, <die keinerlei Weisungen untersteht und deren Mitglieder aufgrund von Vorschlägen des Bundestages, des Bundesrates, der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Gewerkschaften vom Bundespräsidenten berufen werden>“. Und auch die FDP unternahm „einen Vorstoß, um der Atomkommission eine von der Ministerialbürokratie unabhängigere Stellung zu geben.“ [2, Radkau S. 144]

Fehlende Öffentlichkeit: Weder der Bundestag, noch das Innenministerium oder die Bundesländer wurden über die Beratungen der DAtK in Kenntnis gesetzt. „Zur gleichen Zeit freilich gab Menne als Vorsitzender der Fachkommission V intern zu verstehen, soweit er unterrichtet sei, habe <die Vertraulichkeit der Beratungen der Atomkommisson nicht den Sinn, interne Beratungen innerhalb der Firmen und Verbände, die die Herren in der Atomkommission und ihren Untergremien vertreten, unmöglich zu machen.“ [2, Radkau S. 147]

Auflösung

September 1971

„Die Auflösung der DAtK im Zuge einer allgemeinen Reorganisation des Beratungswesens durch die sozial-liberale Regierung zog lediglich den Schlußstrich unter einen schon lange fortgeschrittenen Zerfallsprozeß und erregte kaum noch Aufsehen. [2, Radkau S. 312]

An ihre Stelle traten im Dezember 1971 vier Fachausschüsse. Aus dem Fachausschuss „Strahlenschutz und Sicherheit“ wurde 1974 die Strahlenschutzkommission.

Quellen

[1] Franz-Josef Strauß: „Rede anläßlich der Konstituierung der Deutschen Atomkommission“, 26.01.1956

[2] Joachim Radkau: „Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft“, Reinbeck bei Hamburg 1983

[3] de.wikipedia.org/wiki/Otto_Hahn

[4] de.wikipedia.org/wiki/Karl_Winnacker

[5] de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Josef_Abs

[6] de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Gentner

[7] de.wikipedia.org/wiki/Otto_Haxel

[8] de.wikipedia.org/wiki/Werner_Heisenberg

[9] de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Hess_%28Romanist%29

[10] de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Paneth

[11] de.wikipedia.org/wiki/Arnold_Scheibe

[12] de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Riezler

[13] Susan Boenke: "Entstehung und Entwicklung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, 1955-1971", Frankfurt a.M. 1991

[14] Niedersächsischer Landtag: Bericht 21. Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA ASSE II)" Drucksache 16/5300 vom 18.10.2012, S. 38f.