Sicherheit bleibt geheim

Beitrag von: Dirk Seifert, umweltfairaendern.de, aus: "Atommüll - Eine Bestandsaufnahme für die Bundesrepublik Deutschland", September 2013

Die Richter am Oberverwaltungsgericht Schleswig brachten es auf ihre Weise auf einen Punkt: Dass immer mehr sicherheitsrelevante Fragen und Maßnahmen beim Betrieb von Atomanlagen aller Art unter Geheimhaltung gestellt werden, führe das Gericht in ein Dilemma.

Beitrag von: Dirk Seifert, umweltfairaendern.de, aus: "Atommüll - Eine Bestandsaufnahme für die Bundesrepublik Deutschland", September 2013

Die Richter am Oberverwaltungsgericht Schleswig brachten es auf ihre Weise auf einen Punkt: Dass immer mehr sicherheitsrelevante Fragen und Maßnahmen beim Betrieb von Atomanlagen aller Art unter Geheimhaltung gestellt werden, führe das Gericht in ein Dilemma. Einerseits stehe das Recht von „Dritten“, alle Fragen jenseits des Restrisikos gerichtlich überprüfen zu lassen. Andererseits verweigern Behörden immer häufiger die Herausgabe von Sicherungsmaßnahmen mit der Begründung des Anti-Terror-Schutzes und erklären diese als Geheimsache. Selbst Gerichte und Anwälte bekommen zu diesen keinen Zugang und können im Rahmen der Rechtsprechung diese nicht mehr überprüfen.

So teilt das Bundesumweltministerium im Zusammenhang mit den Atommüll-Standortlagern auf seiner Homepage lapidar mit: „Weitergehende Einzelheiten zu den Gründen der Nachrüstung und zu den Einzelheiten der unterschiedlichen Maßnahmen können nicht dargelegt werden, um deren Wirksamkeit - gerade gegen terroristische Angriffe - zu gewährleisten.“ [1]. Entsprechend kann man auf der Homepage der zuständigen Genehmigungsbehörde, dem Bundesamt für Strahlenschutz, mit Blick auf das Atommülllager in Brunsbüttel lediglich nachlesen, dass es aktuelle Änderungen bzw. Ergänzungen gibt, die sich mit der „Erweiterung des baulichen Schutzes gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD)“ befassen. [2] 

Auf den ersten Blick mag man geneigt sein, dieses Vorgehen von Behörden und Ministerien als zweckmäßig anzusehen. Je detaillierter Terroristen wissen, wo die Schwachstellen von Atomanlagen liegen, desto gezielter und wirkungsvoller können sie Angriffe planen. Klar, aber kommt es darauf wirklich an? Und ist es mit Blick auf die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte vertretbar, dass maßgebliche Sicherheitsfragen und Schutzinteressen von BürgerInnen sich einer gerichtlichen Überprüfung durch immer mehr Geheimhaltung  entziehen?

Atomenergie zeigt auch hier wieder, dass sie mit einer freiheitlichen demokratischen Verfassung nicht kompatibel ist.

Substantiell ist kaum anzunehmen, dass die Geheimhaltung von immer mehr Sicherheitsbelangen tatsächlich zu einem Mehr an Sicherheit für die BürgerInnen führt. Denn die Dimensionen von Waffen, mit denen heute Angriffe im Extremfall möglich sind, sind enorm: Kein einziger Atommeiler würde den (gezielten) Crash einer Verkehrsmaschine vom Typ A380 überstehen.  Das gleiche gilt auch für die Atommüll-Standortlager. Die Physikerin Oda Becker, deren  fachliche Stellungnahme ihren Anteil an dem

Urteil des OVG Schleswig in Sachen Atommülllagerung am AKW Brunsbüttel haben dürfte, zeigt an einer Vielzahl von Beispielen auf, wie willkürlich die Annahmen und Betrachtungen der Genehmigungsbehörden in Sachen Terrorschutz und Gefahrenabwehr sind. [3]

Dies gilt nicht nur im Falle des (gezielten) Absturzes einer Verkehrsmaschine wie dem A380, sondern auch bei den Szenarien für den Beschuss von Atommüllbehältern durch panzerbrechende Waffen - darauf hat auch das OVG in seiner mündlichen Urteilsbegründung deutlich hingewiesen. [4]

Das OVG Schleswig hat der zuständigen Behörde massive Ermittlungsdefizite vorgeworfen und die Genehmigung aufgehoben. 

Klar ist: Je mehr Sicherheitsmaßnahmen unter Geheimhaltung gestellt werden, desto mehr stellt sich die Frage: Wer kontrolliert, ob es weitere Ermittlungsdefizite gibt? Es gibt keinen Grund, Behörden in Sachen Sicherheit zu vertrauen. Die zahllosen Skandale von Atommüllschiebereien bis hin zum ASSE-Desaster zeigen das immer wieder. Und ebenso klar ist: Gegen den Absturz einer A380 ist keines der noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke ausgelegt. Alle Anlagen müssten daher stillgelegt oder aber Nachrüstungen vorgenommen werden. Doch Nachrüstmaßnahmen sind bis heute nicht erfolgt. Der Grund ist einfach: Eine solche Nachrüstung wäre derart kostspielig, dass die Stilllegung der Anlage die Folge wäre. Vor dieser Konsequenz aber schrecken die politisch Verantwortlichen zurück – zu Lasten der Sicherheit der Bevölkerung!

Quellen

[1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: "Zwischenlager werden nachgerüstet", 01.02.2012

[2] www.bfs.de: Informationen zum Standort-Zwischenlager Brunsbüttel (Schleswig-Holstein)

[3] Oda Becker: "Stellungnahme zu möglichen Terroranschlägen auf die im Standort-Zwischenlager Brunsbüttel aufbewahrten Behälter des Typs CASTOR V52 im Rahmen des Klageverfahrens vor dem OVG Schleswig, Az.: 4 KS 03/8, Juni 2013

[4] "OVG Schleswig hebt die Genehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel auf, Pressemitteilung des OVG Schleswig, 20.06.2013